Wie ich zu meinem schwarzen Hengst kam - Pia & Lince

Ich behaupte, es gibt kaum etwas, das mit der bedingungslosen Liebe eines kleinen Mädchens zu Pferden mithalten kann. Noch heute, wenn ich einem Pferdemädchen begegne, fasziniert mich dieses Phänomen immer wieder. Ich will nicht ausschliessen, dass auch Jungs Pferde über alles lieben können, aber in der Regel sind es Mädchen, die ihnen vollkommen verfallen. Diese Leidenschaft begleitet sie oft ein Leben lang. Die Liebe zu Pferden ist etwas Magisches. Nur wer diesen Bann kennt, kann verstehen, was einen bei Wind und Wetter, in eisiger Kälte ebenso wie bei brütender Hitze, in aller Herrgottsfrühe, selbst bei Dunkelheit oder in der Mittagspause, noch kurz vor einem Familienfest oder zur Not eben danach, halb krank, verletzt, todmüde, an Ostern, an Weihnacht und am Geburtstag sowieso – also eigentlich einfach IMMER in den Stall treibt. Wofür man bereit ist, sein gesamtes Geld auszugeben, auf jede Party zu verzichten und ständig schmutzig zu sein. Dass die Kleidung stets voller Haare ist, man nie schöne Fingernägel oder braungebrannte Beine hat, nimmt man gern in Kauf. Manche finden vielleicht, dass man nach Stall riecht – aber der Duft von Pferden riecht doch einfach unvergleichlich und wunderbar verzückend.

Ja, die Liebe zu Pferden ist unerklärlich und beginnt oft schon in frühester Kindheit. Ich war so ein Pferdemädchen. Seit ich denken kann, sind Pferde meine große Leidenschaft, und es war mir immer klar, dass ich eines Tages mein eigenes Pferd haben werde – am liebsten einen prächtigen schwarzen Hengst! Schon immer hatte ich eine Sparbüchse, in der ich einen Teil meines Sackgeldes sorgfältig sparte, um mir irgendwann meinen Traum zu erfüllen. Obwohl ich diesen Wunsch nie aus den Augen verlor, geriet er mit dem Erwachsenwerden zeitweise in den Hintergrund. Doch die Jahre verstrichen, und meine Sparbüchse blieb. Was früher Münzen waren, wurde später hin und wieder durch einen Geldschein ersetzt. Ich sprach mit niemandem darüber, doch mein geheimer Pakt mit mir selbst blieb bestehen: Eines Tages würde ich mir meinen schwarzen Hengst kaufen.

Vor mehr als zehn Jahren reiste ich zum ersten Mal nach Andalusien und hatte das Glück, einen beeindruckenden Menorquiner-Hengst reiten zu dürfen, der früher als Showpferd bei der Apassionata aufgetreten war. Sein großer Auftritt bestand darin, sich majestätisch aufzubäumen. Menorquiner stammen von der spanischen Baleareninsel Menorca und sind berühmt für ihre Eleganz und ihr stolzes Auftreten. Sie sind ausschließlich schwarz, temperamentvoll, aber dennoch sanft und lernwillig. Besonders bekannt sind sie für ihre beeindruckenden Levaden, das Steigen auf die Hinterbeine. "Negro" zu reiten war traumhaft, und am liebsten hätte ich ihn mit nach Hause genommen. Woher meine Obsession für Rappen stammt, kann ich nicht sagen, doch ich bin mir bewusst, dass ein gutes Pferd “keine Farbe” hat. Mehr als einmal habe ich gehört, dass gerade schwarze Pferde oftmals schwieriger zu händeln seien, schwierige Charakter haben und oft keine einfachen Pferde seien. In Andalusien sagt man sogar, ein wirklich edles Pferd sollte ein Schimmel sein. Tatsächlich war auch Negro nicht gerade freundlich und konnte mit seinen Drohgebärden furchteinflößend sein. Doch meine Faszination konnte er mir nicht nehmen – im Gegenteil.

Mein Entschluss stand fest: Ich wollte mir meinen eigenen Hengst kaufen. Ich nahm mir einige Wochen Zeit, um in Andalusien nach dem richtigen Pferd zu suchen. Dank guter Kontakte konnte ich verschiedenste Verkaufsställe, Zuchten und Privatställe besuchen, zahlreiche Pferde ansehen, vorreiten lassen und selbst ausprobieren. Diese Zeit war eines der aufregendsten Erlebnisse meines Lebens. Mein Wunsch, einen Rappen zu kaufen, sprach sich herum, und plötzlich meldeten sich wildfremde Leute aus halb Spanien, die mir ihre schwarzen Hengste anbieten wollten. Ich machte spannende Bekanntschaften, reiste in die abgelegensten Gegenden Andalusiens und besuchte atemberaubende Pferdezuchten. Leider habe ich auch weniger schöne Umstände angetroffen, die mir fast das Herz gebrochen haben. Aus Mitleid hätte ich einige Pferde kaufen können

In Spanien sind beim Pferdeverkauf, wie auch sonst bei fast allen Aktivitäten, immer einige Leute mit dabei, die herumstehen und zuschauen. In diesem Moment, wenn ein Pferd vorgeführt wird, ich entscheiden sollte, ob es mein Seelengefährte sein könnte oder nicht und dabei von x Leuten beobachtet zu werden, fühlte ich mich stark unter Druck. Doch obwohl ich viele wunderbare Pferde sah, war mein Seelenpferd nicht dabei. Immer wieder sagte man mir, ich würde es sofort wissen, wenn ich es sehe. Doch dieser magische Moment, dieser Blitzschlag, blieb aus. Bei mir war dieser Moment unspektakulär und leise...

Schließlich besuchte ich eine Zucht nahe Barcelona. Dort stand ein temperamentvoller, vierjähriger PRE-Hengst, der sein ganzes bisheriges Leben auf grossen Weiden im Herdenverband verbracht hatte. Er war kaum angeritten, lackschwarz, unsicher und total angespannt. Der nervöse Wirbelwind mit wallender Mähne liess sich kaum anfassen. Ich besuchte ihn am nächsten Tag in seiner Box - ganz ohne Zuschauer. So konnte ich uns in Ruhe und ohne Druck Zeit lassen. Irgendwann fasste er sich ein Herz, streckte mir seinen langen Hals entgegen und schnupperte mich mit riesigen Augen vorsichtig ab. Ich durfte sein samtiges Fell berühren und spürte seinen warmen Atem auf meiner Haut – in diesem Moment war mir klar: Das ist mein Pferd.

Der Züchter empfahl mir seinen mutigeren und ruhigeren Halbbruder, der ebenso schön war, aber ich wusste bereits, dass es keine rationale Entscheidung mehr war. Einige Wochen später wurde "Lince" von einem professionellen Transportunternehmen in die Schweiz gebracht. Zum ersten Mal verließ er seinen Geburtsort und hatte eine lange Reise vor sich. Er kam wohlbehalten, wenn auch etwas abgemagert, bei mir an und ist seither mein Ein und Alles. Wir haben eine tiefe Verbindung, die auf Vertrauen, Zuneigung und Respekt basiert. Wenn ich im Sattel sitze, fühle ich mich frei, getragen von der Kraft und Anmut von meinem treuen Gefährten. Es ist eine Liebe, die nicht nur von Abenteuerlust, sondern auch von Geduld, Verständnis und inniger Freundschaft geprägt ist. Dass Lince schüchtern ist und sein verschmitztes Frechdachs-Gesicht nicht jedem zeigt, macht ihn für mich umso liebenswerter. 

Anfangs gefiel mir sein Name nicht besonders – ich dachte an klangvolle, rassigen Namen wie "Taranto" oder "Bolero". Doch das hätte nicht zu meinem schüchternen Pferdchen gepasst. Er ist Lince geblieben, mit den Kulleraugen und dem zurückhaltenden Babycharme, der mich regelmässig ganz zärtlich abschmust, sich aber auch immer mal wieder erschreckt und aufregt. Lince stellt mich vor die grosse Herausforderung, dass er sehr einerseits sensibel und schüchtern ist, dabei aber temperamentvoll und durchaus einen Dominanzanspruch hat, also ganz klare Grenzen braucht – auch als Wallach. In der Schweiz ist es eher unüblich und nicht ganz einfach, einen Hengst zu halten. Ich wünsche mir für mein Pferd, dass es in einem Offenstall in einer Gruppe leben kann, was mit einem Hengst kaum möglich wäre. So habe ich ihn kastrieren lassen. Stuten interessieren und animieren ihn immer noch sehr, aber in der Wallachgruppe ist er entspannt und geniesst den sozialen Kontakt und die Bewegungsmöglichkeit. 

Seit über sieben Jahren ist Lince nun an meiner Seite. Manchmal, wenn er sich wieder einmal vor einer geknickten Blume erschrickt, frage ich mich, ob schwarze Pferde tatsächlich schwieriger im Charakter sind oder ob ich mit seinem ruhigeren Halbbruder ein einfacheres Leben gehabt hätte. Doch dann schaue ich ihn an, und alle Zweifel verschwinden. Lince ist einzigartig und wundervoll mit all seinen Eigenheiten. Liebe ist eben unerklärlich und wählt nicht den einfachsten Weg. Aus meinem schwarzen Hengst ist mittlerweile ein brauner Wallach geworden, denn glückliche Rappen bleichen in der Sonne oftmals aus. Doch ich habe meinen Seelengefährten gefunden und bin glücklich mit ihm ❤️

Posted on April 5, 2025 .